Beschreibung
Das Werk MEANWHILE erhebt sich in vier Meter Höhe in Form zweier feingliedriger Hochsitze und offeriert Perspektivwechsel auf die Umgebung, die eigene Position und Konstitution. Dabei entfaltet die Arbeit ein komplexes Gefüge, das Aushandlungsfelder von Kommunikation und Isolation sowie Be- und Umwertungsprozessen öffnet. Basis der Arbeit sind zwei in gold gefärbte Metallkonstruktionen, bestehend aus jeweils einer pyramidalen Unterform und einer aufsitzenden Quaderform mit integrierter Sitzbank, die über eine Leiter zugänglich ist.
Als architektonische Doppelform korrespondiert die Installation mit dem charakteristischen Sheddach der Simultanhalle und setzt ihre offene Minimalkonstruktion in einen kontrastvollen Dialog mit der geschlossenen Eingangsfront.
In ihrer performativen Aktivierung erzeugt die Installation einen krisenbehaftetes Spannungsgefüge aus Autorität und Ohnmacht. Nadjis Arbeit präfiguriert trotz möglicher Begegnung auf Augenhöhe immer ein Ungleichgewicht: das Einnehmen eines erhabenen, erhöhten Sitzes ist eng verbunden mit einer autoritären Herrschaftssymbolik (vom häuslichen Hochsitz, über den Richter:innenstuhl und den heiligen Sitz einer Kanzel, hin zum Herrscher:innenthron), die mit dem visuellen Ausstellen einzelner Personen einhergeht, um
ihre gesonderte Stellung hervorzuheben. Gerade in der Produktion eines Sichtbarkeitsgefälles – vom Sehen und Gesehen-Werden – setzt MEANWHILE an. Die Installation invertiert die autoritäre Überhöhungsgeste des hohen Sitzes ästhetisch mit der Erfahrung schutzlosen Exponiert- und Ausgeliefertseins und weist damit ihre Doppeldeutigkeit aus.
Für sich alleinstehend betrachtet, erinnern die schlanken Konstruktionen an installative Konturen, die die urbane Peripherie einsäumen und je nach Ausrichtung andere Elemente zu Bildinhalten ästhetisieren. Die Konstruktionen sind handelsübliche, in China industriell produzierte Hochsitze, die Linda Nadji in ihrer minimalen Readymade-Form aufgreift und über eine goldfarbene Beschichtung umwertet. Jene Nobilitierungsgeste der Vergoldung sowie die Entrückung aus dem ursächlichen Funktions- und Bedeutungszusammenhang und Neusituierung im Kunstkontext, wirft einerseits neues Licht auf den Gegenstand als ästhetische Form. Andererseits punktiert der künstlerische Aufwertungsakt gleichsam das persistente Vorurteil China stelle angesichts schnellerer und kostengünstigerer Herstellungsbedingungen weniger wertige Produkte her. Damit adressiert die Installation sowohl Fragen nach globalökonomischen Prozessen und neoliberalen Produktionsbedingungen, als auch Bewertungs- und Abwertungspraktiken.
Text: Julia Reich